Gemeinschaftliches Stricken auf Taquile

1648

An diesem Morgen lag der See wieder sehr malerisch da. Tiefblau fast schwarz und gleichzeitig glitzernd durch die Sonne. Einfach nur schön! Wir legen also ab, Kurs auf die Insel Taquile. Das Wetter ist wiedermal top, Sonnenschein pur. Nach einer knappen Stunde legen wir an einem kleinen Hafen an und laufen etwa 40 Minuten bis zum Markplatz. Unser Boot fährt inzwischen weiter zum nächsten Hafen. Unterwegs kommen uns schon die ersten strickenden Männer entgegen.

1652

Am Marktplatz erzählt uns Hugo erstmal ein paar Sachen. Dann haben wir geschlagene 25 Minuten Zeit für die Fotoausstellung im Gemeindehaus und „El Centro Artesanal“, den Laden mit den ganzen Kunsthandwerkssachen. Das ist ein ganz schönes Gehetze. Die Fotoausstellung ist recht schön. Nach einem Einführungskurs in die Fotografie mit einer Digitalkamera haben die Inselbewohner sich gegenseitig im Alltag fotografiert. Da das Ganzen keinen Eintritt kostet, kaufe ich am Ende ein paar Postkarten. Anschließend hetze ich rüber in den Artesania-Laden. Wow gibt es schöne Sachen, Mützen, Taschen, gewebte Gürtel, Handschuhe, Westen – alles in überwältigender Auswahl an Mustern und Farben. Man sieht schon, dass die Sachen einfach eine ganz ander Qualität haben. Sie sind einfach feiner oder schöner gearbeitet und einfach auch kreativer. Auch hier ist wieder alles gemeinschaftlich organisiert. Alle Sachen im Laden sind mit einem Zettel versehen. Auf diesem steht der Name des Künstlers und der Preis. Handeln geht nicht und bezahlt wird an einer gemeinsamen Kasse, wo drei strickende Männer sitzen. Die Einnahmen kommen der Gemeinschaft zu Gute, wie das im Detail funktioniert weiß ich allerdings nicht.

In den zweiten Stock, wo es Handarbeiten der Frauen gibt (unten waren anscheinend nur Arbeiten von Männern) schaffe ich es leider nicht mehr, denn es geht schon weiter zum „Bogen der Freundschaft“. Direkt dort essen wir auch in einem Restaurant zu Mittag. Hugo erklärt uns, dass es überall auf der Insel das gleiche Essen und auch zum gleichen Preis gibt: Gemüsesuppe und anschließende entweder frische, gebratene Forelle mit Reis und Salat oder Omelette mit Reis und Salat. Dazu einen Tee. Das Ganze dann für 12 Soles (3 Euro).

Da es nun bald zurück nach Puno gehen soll, beschließe ich noch eine Nacht auf der Insel zu bleiben um alle Eindrücke besser verarbeiten zu können und nicht das Gefühl zu haben nur durchgerast zu sein. Mir ging das alles einfach viel zu schnell! Das ist auch kein Problem. Hugo schreibt mir für den nächsten Tag einen Zettel mit dem ich dann mit einem anderen Boot der Agentur nach Puno zurück fahren kann. Super! Jetzt muss ich nur noch zum Boot hinunter und meinen Rucksack holen.

Der Aufstieg von dieser Seite ist sehr beschwerlich, sehr steil geht es in der glühenden Sonne treppauf. Zwischenzeitlich muss ich mal kurz Rast machen und unterhalte mich mit Jesus. Er ist 13 Jahre alt und fleißig am Stricken. Wie lange er schon strickt frage ich. Seitdem er 5 Jahre alt ist bekomme ich zur Antwort und an der Mütze stricke er schon fast eine Woche. Jetzt ist mir auch klar, warum die Handwerksarbeiten so schön sind. Die Menschen machen das eigentlich ihr ganzes Leben lang, tagtäglich – da müssen sie ja zu Meistern werden! Die Insel Taquile und seine Textilkunst wurden deshalb 2005 von der UNESCO in die Liste der „Meisterwerke des immateriellen Kulturerbes“ aufgenommen und damit ihre Einzigartigkeit anerkannt.

1676

Die haben hier auch ganz spannende Traditionen. Die Kleidung sagt sehr viel aus. So zum Beispiel die Mützen der Männer. Ledige Männer tragen Mützen mit weißem Zipfel, verheiratete Männer komplett rot gestrickte mit Dekoration. Allerdings kann die weißzipflige Mütze auch von verheirateten Männern getragen werden, dann aber nur in Verbindung mit der Chuspa, einer kleinen gewebten Tasche die ausschließlich für Cocablätter gedacht ist. Cocablätter sind hier heilig und werden zur Begrüßung ausgetauscht. Das Kauen der Cocablätter ist auch ausschließlich verheirateten Männern vorbehalten. Die weißzipflige Mütze bekommt der Sohn von seiner Mutter geschenkt, die rote von seiner Frau. Mitglieder des Gemeinderates tragen dagegen ganz bunte Chullos (Mützen). Spannend, spannend wie ich finde! Aber das war natürlich noch nicht alles.

Männer tragen hier traditionell einen breiten gewebten Gürtel mit vielen verschiedenen Symbolen. Verheiratete Männer tragen darunter einen Gürtel aus verschiedenen Wollsorten. Darin eingearbeitet sind im gesamten Gürtel die Haare seiner Ehefrau. Die Haare stellen die geistige Verbindung zwischen den Eheleuten dar, wenn sie mal getrennt sein sollten. Die Kleidung der Frauen auf Taquile besteht aus etwa vier Röcken, einer unbestickten, roten (im Gegensatz zu Amantani, nicht weißen) Bluse und einem schwarzen Tuch, das statt Stickereien bunte Bommeln an den Ecken hat. Verheiratete Frauen tragen dunkle Röcke und die Bommeln am Tuch sind weniger bunt und viel kleiner.

Spannend ist auch, dass es auf Taquile keine Scheidung gibt. Vor der Heirat gibt es aber eine Art Probeehe, wo die Leute schon ein paar Monate zusammen wohnen. Wenn das funktioniert heiraten alle willigen Paare bei der nur einmal im Jahr stattfindenden Hochzeitszeremonie im Mai.

Endlich oben angekommen frage ich an einem Souvenirstand nach einer Unterkunft und übernachte schließlich bei Francisco. Auch bei den Übernachtungen gibt es natürlich einen Einheitspreis (10 Soles / 2,50 Euro ohne Essen). Francisco fragt gleich, ob ich ihm ein paar von seinen Handarbeiten abkaufen möchte. Ich verneine. Man kann einfach nicht jedem etwas abkaufen. Aber das Frühstück für den nächsten Morgen bestelle ich schon einmal.

Nachmittags, nachdem alle Touriboote abgelegt haben habe ich die Insel ganz für mich alleine. Ich sitze einfach gemütlich im Halbschatten auf der Plaza. Beobachte Kinder beim Spielen, Jungs beim Stricken und ein paar Leute beim Bauen. So ohne Touris ist es ganz ruhig auf der Insel ganz anders. Ist witzig die Männer zu sehen die einfach so im Vorbeilaufen stricken – das machen sie also auch, wenn keine Touris mehr da sind. Auch die Jugendlichen stehen und sitzen gemütlich an einer Ecke und unterhalten sich. Einige traditionell angezogen, andere mit Fußballtrikot, alle jedoch mit ihrem Strickzeug in der Hand und mit einer gestrickten Mütze für ledige Männer auf dem Kopf. Die sind echt mit einem Eifer dabei, den ich ganz bewundernswert finde.

1656

Die kleinen Mädchen dagegen, die auf dem Marktplatz spielen, haben alle ihre Spindeln dabei und spinnen. Auch damit kann man spielen und sie haben ihren Spaß. Irgendwann entdecken sie mich und kommen auf mich zugestürmt, damit ich ihnen Armbänder abkaufe. Ich bleibe hart, aber sie quängeln. Wie gut, dass ich zwei Touristen erspähe, die gerade über den Platz schlendern. „Die wollen euch doch bestimm etwas abkaufen“, sage ich und schon bin ich sie los. 😉 Ja, ich weiß, das war ein wenig gemein, aber was solls. Die beiden haben auch ihre Mühe die Kinder zu beruhigen und ich sehe wie sie auf mich zeigen. „No, no“, rufe ich über den Platz, „ya he comprado algo“ (ich habe schon was gekauft). Er grinst. Es sind zwei Schweizer, er ist gebürtiger Peruaner aber lebt schon lange in der Schweiz. Wir unterhalten uns eine ganze Weile. Ich glaube, wir drei sind wirklich die einzigen Touristen, die noch auf der Insel weilen.

1644

Ich gehe relativ früh ins Bett. In der Nacht stürmt und regnet es. Am nächsten Morgen wandere ich noch ein wenig über die Insel, schaue an der Schule vorbei, bei der gerade angebaut wird und sehe wie sich die Insel wieder auf die Ankunft der täglichen Touristengruppen einstellt. Jeden Tag das gleiche Spiel, denke ich. Schon komisch. Sehr positiv finde ich, dass beide Inseln gemeinschaftlich organisiert sind. Alle Entscheidungen werden von der Gemeinschaft getroffen, deshalb gibt es zum Beispiel auch noch keine großen Hotelbauten auf der Insel, die Einnahmen kommen der Gemeinschaft zu Gute und es wird gemeinschaftlich angebaut.

Im Vergleich zu Amantani merke ich aber auch ganz deutlich den Unterschied. Die Menschen auf Taquile haben schon viele Touristen gesehen, sie treten ihnen mehr oder weniger gleichgültig gegenüber. Während die Bewohner von Amantani noch jeden Fremden, dem sie begegnen grüßen und neugirig schüchtern beäugen. Mich beschleicht das ungute Gefühl, dass es auf Taquile auch einmal so war, bevor tagtäglich die vielen Touris die Insel überströmten und kann mir vorstellen wie es auf Amantani mal sein wird. Hoffen wir, dass die Gemeinschaft auf beiden Inseln stärker ist als die Touristenströme!